Notstromkonzept mit Wasserkraftanlagen
Das E-Werk Schweiger hat für die oberbayerische Gemeinde Oberding ein Notstromkonzept entwickelt. Vier lokale Wasserkraftanlagen sichern die Versorgung der kritischen Infrastruktur bei Stromausfall.
Wenn es in der Gemeinde Oberding am Münchner Flughafen einmal zu einem Blackout kommen sollte, bleiben das Rathaus, die Arztpraxen und Apotheken weiter mit Strom versorgt – ebenso wie andere Einrichtungen der kritischen Infrastruktur. Dafür sorgt ein Notstromkonzept mit vier kleinen Wasserkraftanlagen, das der regionale Stromversorger, das E-Werk Schweiger, für die Gemeinde entwickelt hat. Es ist aber nicht das Resultat aus der aktuellen Gaskrise, sondern des sogenannten Schneechaos im Jahr 2005 im Münsterland. Das Konzept ist bis heute einsatzbereit und zeigt, wie Wasserkraftwerke unter 500 Kilowatt Leistung zu einer sicheren Notstromversorgung beitragen können.
Das E-Werk Schweiger hat eine lange Tradition. 1906 begann Familie Schweiger, mit einem kleinen Wasserkraftwerk an dem Gewässer der Dorfen elektrische Energie zu erzeugen. Heute betreibt das Unternehmen fünf Wasserkraftwerke mit einer Gesamtleistung von 950 Kilowatt, vier davon befinden sich im Gebiet der Gemeinde Oberding im Landkreis Erding. Zudem versorgt das E-Werk Schweiger als Netzbetreiber und regionaler Energieversorger Unternehmen und Privathaushalte in der Gemeinde Oberding und der Ortschaft Attaching mit Strom.
Das Schnee-Chaos im November 2005 im Münsterland ist Fritz Schweiger, Geschäftsführer des E-Werks Schweiger, noch gut in Erinnerung – zeigte es doch auch, wie anfällig ein Stromnetz allein bei extremen Witterungsbedingungen ist. Durch den starken Schneefall konnten einige Strommasten das Gewicht auf den Leitungen nicht mehr tragen und knickten um. Dazu kamen Leitungsbrüche und Kurzschlüsse durch abgefallene Äste. Die Folge: Rund 250.000 Menschen in 25 Gemeinden hatten mehrere Tage lang keinen Strom. An einigen Orten richteten Mitarbeiter der Bundeswehr und des Technischen Hilfswerks eine provisorische Stromversorgung ein.
Vorbeugen für den Notfall
Flächendeckender Stromausfall und das tagelang, das gab dem damaligen Bürgermeister vom Oberding, Helmut Lackner, zu denken und dem wollte er in seiner eigenen Gemeinde vorbeugen. Deshalb bat er das E-Werk Schweiger als örtlichen Stromversorger, ein Notfallprogramm für den Krisenfall zu entwickeln. Aber auch, um gegen Stromausfälle aus anderen Ursachen gewappnet zu sein. „Unsere Wasserkraftanlagen waren schon schwarzstart- und inselbetriebsfähig, um einen stets sicheren Betrieb der Schleusen und Rechenreinigung zu gewährleisten. Außerdem sichern sie unsere betriebsinterne Notstromversorgung“, sagt Fritz Schweiger. Der Diplom-Ingenieur für Elektrotechnik begann, mit seinen Mitarbeitern an einem Konzept für den Krisenfall zu tüfteln. Mit Hilfe seiner lokalen Wasserkraftanlagen sollte eine längerfristige Notstromversorgung im Inselbetrieb für die kritische Infrastruktur des Versorgungsgebietes sichergestellt werden.
Welche Einrichtungen zur kritischen Infrastruktur gehören, bestimmte damals die Gemeindeverwaltung. Die Auswahl wird seither regelmäßig überprüft und festgelegt. Auf der Prioritäten-Liste stehen Rathäuser, Feuerwehrhäuser, Schaltzentralen der Energieversorgung, Arztpraxen und Apotheken, die Straßenbeleuchtung ebenso wie Lebensmittelgeschäfte.
Veränderte Netztopologie mit Selektionsschaltung
Das E-Werk Schweiger ist sowohl für das Mittelspannungsnetz als auch für das Niederspannungsnetz in der Gemeinde zuständig. Daraus ergab sich die Möglichkeit, die Netztopologie – also die versorgungstechnische Anordnung der Netzteilnehmer – so zu gestalten, dass die Wasserkraftanlagen in kurzer Zeit die Notstromversorgung für die wichtigen Einrichtungen übernehmen können.
Dafür ist eine selektive Aufteilung des Stromverteilungsnetzes notwendig, welche die vorrangig zu versorgenden Verbraucher berücksichtigt. Im Krisenfall werden das Mittelspannungsnetz sowie die untergeordneten Niederspannungsnetze schaltungstechnisch in den dafür erforderlichen Zustand gebracht. Die wichtigsten Verbraucher haben nach ein bis zwei Stunden Strom, beim letzten dauert es noch circa fünf Stunden, dann steht das System für die Notstromversorgung. Mit der fortscheitenden Digitalisierung der Versorgungsnetze lassen sich diese Prozesse noch beschleunigen.
Vier lokale Wasserkraftwerke mit 450 Kilowatt Leistung sind in das Notstromkonzept eingebunden, drei weitere Anlagen von Netzkunden können noch integriert werden. Als Back-up gibt es ein Diesel-Notstromaggregat. 60.000 Liter Diesel hält das E-Werk-Schweiger für den Notfall vor. Das Aggregat soll aber nach Möglichkeit nicht genutzt werden, da der Verbrauch fossiler und klimabelastender Brennstoffe damit verbunden wäre. Für die Notfallsituation hat der Betrieb eine eigene notstromversorgte Funkanlage auf dem Dach, denn auch der Mobilfunk funktioniert bei Stromausfall nicht mehr.
Praxistest bestanden
2006 wurde die Notstromversorgung einem Praxistest unterzogen. Dafür stellte sich ein größerer Stromverbraucher, der auf die Entsorgung von Speiseresten und Tierkörpern spezialisiert ist, zur Verfügung. Zunächst wurde das Unternehmen mit seiner betriebseigenen Niederspannungsverteilung vom Gesamtnetz getrennt. Im übrigen Versorgungsgebiet hielt das E-Werk Schweiger die normale Stromversorgung aufrecht. „Die Simulation der Notstromversorgung, in die als kritische Infrastruktur Verbraucher der Firma wie Beleuchtung, Motoren und Computer eingebunden waren, hat gut funktioniert“, sagt Schweiger rückblickend. Durch den Test wurden praktische Erfahrungswerte in das Notstromkonzept eingebracht. Einen realen Notstromfall gab es bisher noch nicht. Fritz Schweiger ist aber überzeugt, dass das Konzept zuverlässig funktionieren würde.
Die Notstromversorgung stellt eine wichtige Systemdienstleistung dar. Das Risiko für Stromausfälle hat sich durch die Krisensituation im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine in der Wahrnehmung der Politik und der Bevölkerung erhöht. Die zuverlässige Wasserkraft ist in der Lage, entsprechende Leistungen zeitlich uneingeschränkt zur Verfügung zu stellen. „Damit dieses Potenzial der Wasserkraft auch effektiv genutzt werden kann, sind Anreize nötig“, sagt Schweiger. „Bei uns war es damals der Bürgermeister, heute braucht es entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen.“